Entwicklungshilfe für Alle

Am 10. August 1996 um 13.45 Uhr Ortszeit landete ich mit einer Tupulew der Aeroflot in Luanda, Hauptstadt von Angola. Es war der Beginn einer sechsmonatigen Arbeitszeit für ADPP Angola, eine der großen unter den nichtstaatlichen Entwicklungshilfe-Organisationen (kurz NGO's). Und es war der Beginn von 6 Monaten Leben in einem Land, wo der Irrsinn normal und die Normalität ein Irrsinn ist.

Die ersten 24 Stunden werden ich und meine drei Teampartner aus Italien, Japan und Zimbabwe nie vergessen. Die von fahrenden Blechgebilden jeglicher Art überfüllten Straßen sind voller Löcher und mancherorts gibt es Seen, die von gebrochenen Wasserrohren zeugen. Die vielen verstümmelten Menschen sind Ernte der umfangreichsten Saat von Landminen überhaupt in dieser Welt. Straßenhändler bieten an den Ampelschlangen Fernsehantennen, Seife und Sonnenbrillen feil. Unübersehbar sind die Berge von Müll und Schrott, die sowohl koloniale Prachtstraßen als auch ausgedehnte Hüttenvorstädte säumen. Dazwischen schicke Ladenfassaden, Boutiken und Kreditkartentelephone. Fünfmal werden wir angehalten auf dem Weg aus der Stadt. An Straßensperren der Polizei und der Spezialeinheiten. Später erfahren wir den Grund, als uns die Wagenkolonne des Provinzgouverneurs entgegenkommt.

Es war nicht nur Abenteuerlust, die mich verleitete, nach Angola zu gehen und als Volontär 1) in der Entwicklungshilfe zu arbeiten. Es war der Entschluß, einmal etwas zu tun, das weiter geht als spenden, sympathisieren oder in allgemeiner Betrübnis über die Zustände auf dieser Welt den Kopf zu schütteln. Es war der Wunsch, sowohl die katastrophale Lage Angolas nach 17 Jahren Bürgerkrieg, als auch die Arbeit der Entwicklungs- und Katastrophenhelfer aus eigener Erfahrung kennenzulernen.

Nach einem fünfmonatigen Vorbereitungskurs an einer dänischen Volkshochschule, in Zusammenarbeit mit Humana People to People organisiert und durchgeführt, waren wir hinreichend gerüstet. Hatten Portugiesisch gelernt, Kurse in afrikanischer Geschichte, zu weltwirtschaftlichen und entwicklungspolitischen Themen, sowie in medizinischer Vorsorge, Ersthilfe und Hygiene in den Tropen besucht. Neben diese allgemeinen Vorbereitungen kamen andere, auf unseren speziellen Aufgabenbereich bezogene.

Wie die anderen drei aus meinem Vorbereitungs-Team arbeitete ich in der Küstenstadt Benguela im mittleren Süden von Angola, und zwar in dem Projekt, das durch den Verkauf von gebrauchten Kleidern die Entwicklungshilfe finanziert. Meine Kollegen arbeiteten in einer Schule für Straßenkinder, einer Berufsausbildungsschule mit den Bereichen Bau, Landwirtschaft, und Verwaltung/Finanzen und im sogenannten Familienprogramm, das die armen Bewohner der Vororte mit Unterricht zu Themen wie Hygiene, Kindererziehung, Gesundheitsvorsorge, Landwirtschaft und mit Materialien, wie Moskitonetzen, Zement, Saatgut etc unterstützt sowie Latrinen konstruiert.

Im Laufe der Zeit haben einige von uns auch in anderen Fachbereichen und Provinzen gearbeitet. So fand ich mich drei Monate später in Luena, 600 km von Benguela im Landesinneren wieder, wo ich zusammen mit zwei Teammitgliedern aus Benguela eine Verteilungsaktion von Kleiderpaketen an 4000 demobilisierte Soldaten durchführen sollte. Am Nachmittag nach Beendigung der Verteilung sammelten sich plötzlich 500-600 Mann vor unserer Herberge und riefen wütende Sprechchöre. Die aufgebrachten Leute wollten wissen, ob noch mehr Kleider verteilt würden und ob sie ihre Ausweise wiederhaben könnten, die von der Behörde zur Kontrolle eingesammelt worden waren; der zuständige Chef war jedoch verschwunden. Es war dies ein Moment der symptomatisch für Angola war. Ein Land, wo Menschen leitende Positionen innehaben, ohne durch besondere Erfahrung oder Verantwortungsbewußtsein dafür geeignet zu sein, sondern oftmals nur weil sie über die entsprechenden Beziehungen verfügen. So hatte der Leiter der demobilisierten Soldaten soviel Angst davor, zuzugeben, daß es nicht genug Kleider für alle gab, daß er wegrannte. Ich sprach zu der Menge, sagte ihnen, daß es keine Kleider mehr gebe, und daß sie ihre Ausweise in den nächsten Tagen bekämen. Die Menschen beruhigten sich und gingen nach Hause.

Wieder sechs Wochen später war ich in Cabinda, der nördlichsten Provinz in Angola, um den Bau einer Schule zu beendigen. Meine Arbeit bestand daraus, die anliegenden Bauarbeiten zu Fertigstellung zu planen, ein Budget festzulegen und zu begründen, die Materialien zu kaufen, Arbeiter und Handwerker unter Vertrag zu nehmen, und schließlich die Arbeit selbst zu leiten wo nötig und mitanzupacken. Es ging gerade auf Weihnachten zu und dese Tatsache machte meine Arbeit nicht immer leichter. Warum? Weihnachten sind auch in Angola Geschenke eine Tradition, wenn vielleicht auch eine junge; das Geld jedoch ist knapp. Korruption ist für viele gerade in dieser Zeit ein wichtiger Nebenverdienst. Sie ist aber schädlich und jeder angolanische Bürger auf der Straße leidet unter ihr. Positiv war daher die Reaktion der Arbeiter, als sie sahen, daß ich mich jeder Korruption verweigerte, gemäß der übeall in Humana People to People gültigen Richtlinien, und daß es auch einen "Boß" gab, der graben konnte. Die Achtung der Arbeiter für das Projekt und die Organisation stieg, mit dem Ergebnis, daß der Bau trotz alledem größtenteils im einmonatig geplanten Zeitraum fertiggestellt wurde.

Was ich damit sagen will, ist folgendes: man braucht keine Berufsausbildung, kein Studium, kein Genie zu sein, um als Entwicklungshelfer zu arbeiten. Es geht nicht darum, den Menschen abrufbares Wissen beizubringen, das man vorher pauken müsse. Es gilt, ihnen ein Vorbild zu sein, ihnen zu zeigen, daß es Verantwortung gibt, der man sich stellt. Man muß den Willen zeigen, für eine bessere Zukunft gemeinsam zu arbeiten. Eine Zukunft, an die man glaubt. Denn dieser Glaube ist zerstört durch die endlosen Jahre des Krieges. Durch ein Leben in immer größer werdender Armut.

Ich kann deshalb nur jedem empfehlen, der ein Jahr Zeit und den nötigen Mut hat, so etwas zu tun. Es ist interessant, spannend und auch anstrengend, aber nirgendwo wird man so leicht eine Arbeit finden, bei der soviel verantwortet werden darf und kann und eigene Ideen soviel Chancen haben können.

Sehr geehrte Stellplatzgeber,
ich habe diesen Artikel ursprünglich aus einem anderen Anlaß geschrieben und möchte daher zum gegebenen noch ein paar Worte hinzufügen. Bitte bedenken Sie - bei Humana People to People geht jeder Gewinn direkt in die Entwicklungshilfe, und hilft vor Ort Menschen, einen Schritt vorwärts zu tun, Mut zu schöpfen; verhilft ihnen zu Bildung und Gesundheit. Es gibt sicherlich Firmen, die für einen Altkleidercontainer-Stellplatz bares Geld zahlen, aber bedenken Sie: Brauchen Sie das wenige Geld wirklich so dringend? Einen Stellplatz zu vergeben kostet Sie nichts, aber Sie werden Teil eines guten Beispiels für Menschen hier, in Angola und anderswo: Ressourcen schonen, verantwortungsbewußt handeln. Das heißt auch gelegentlich, das Wohl anderer vor den vordergründigen eigenen Nutzen zu stellen.

Julian Auer, Witten.

1) Ich habe zwar als Volontär gearbeitet, also keinen Lohn/Gehalt bekommen, aber das "Taschengeld" war für ein bequemes Leben völlig ausreichend, und auch Flug, Visa u.ä. Kosten wurden von ADPP Angola übernommen.

<< ZURÜCK