Was ich gesehen habe, kann ich nicht ungesehen machen


Hans von Sponeck

Vor einem nahezu gefüllten Audimax an der Universität Tübingen hielt Hans von Sponeck am Donnerstag Abend ein packendes Plädoyer für das irakische Volk.
„Ich bin nicht anti-amerikanisch eingestellt, aber ich kritisiere die amerikanische Politik“ stellt er ernst fest. Schmunzelnd fügt er hinzu „ich bin sogar mit einer Amerikanerin verheiratet“.
Seit 1968 arbeitete Hans von Sponeck für die UN, zuletzt im Irak.
Im Jahr 2000 tritt er aus Protest gegen die Embargopolitik zurück.
„Wenn man 12 Jahre lang eine Politik macht, deren Auswirkungen die Falschen trifft, muss man endlich fragen, ob das nun die richtige Politik ist“, verlangt er.
Erregung spricht aus seinen Worten und Gebärden, wenn er über das Elend der Bevölkerung im Irak spricht.
Nach UNICEF-Berichten liegt die Kindersterblichkeitrate im Irak heute bei 131 von 1000 Kindern (1990: 56/1000). Ohne das Wirtschaftsembargo wäre sie heute bei 25/1000!
Die Sanktionen fordern ihr Tribut!
Im Saal ist es still, keiner rührt sich. Hans von Sponecks Erregung über die Geschehnisse im Irak, sein emotionales Engagement machen betroffen.
„Wollen wir eine Bevölkerung bestrafen, weil es seinen Diktator erdulden muss?
DIALOG, schreibt er in großen Buchstaben an die Tafel, als ein Student fragt wie man denn vorgehen solle in der Irakfrage.
Und immer wieder hält er ein sehr zerfleddertes Büchlein in die Luft, die Charta, der Vereinten Nationen. „Das Problem ist nicht die Charta, das Problem ist, dass man sie auslegen kann wie man will.“
Die Frage nach der Trennung von Exekutive und Legislative bei der UN ist schon lange gestellt! Und währenddessen sucht die USA fieberhaft nach einem Grund für den „gerechten“ Krieg. Zwei Industrieanlagen, die auch jetzt wieder von den Waffeninspektoren untersucht werden, hat er selbst besucht.
„Ruinen“, nennt er sie. Berichten der USA zufolge hatten dieselben Ruinen ihre Produktion bis 2001 wieder bis zu 25% aufgenommen. „Stellen Sie sich das einmal vor.“ sagt er und schaut kopfschüttelnd in die Runde. Der jetzige Inspektionsbericht bekräftigt wiederum seine Aussage: dort wird nichts produziert!
Aber wo bleibt der Grund für den Krieg? Milzbranderreger ? Fehlanzeige! Al Quaida? Auch keine Verbindung zum Irak! Nairobi ? Nichts. Prag? Auch nichts!
Und Richard Perle vermerkt: „Die Abwesenheit von Beweisen ist kein Beweis für ihre Abwesenheit!“ Aber warum verfolgt die USA mit solcher Vehemenz den Kriegsgedanken und warum gerade jetzt? Geht es darum einen Diktator zu stoppen, den die Westmächte selbst aufgebaut haben? Geht es um Menschenrechte? Husseins Gaseinsatz gegen die Kurden, der vor 14 Jahren passierte und damals kaum für Schlagzeilen sorgte, kommt nun wieder auf den Tisch.
Könnte es vielleicht um Öl gehen, um Machtinteressen? Könnte es darum gehen von innerpolitischen Schwierigkeiten in den USA abzulenken? Ein gemeinsamer Feind nach Bin Laden?
„Der Ring um den Irak schließt sich“, lässt Amerika vernehmen. Und Hans von Sponeck fügt hinzu: „aber dieser Ring hat Löcher“. Jordanien, der Iran, Syrien und sogar die Türkei haben Einwände gegen diesen Krieg.
„Scharon hat mehr getan für die Einigung zwischen den Arabern als jeder andere vor ihm.“
Immer wieder lächelt der Redner von Sponeck und entschuldigt sich, dass er seine Redezeit überzieht.
Nach 30 Jahren bei den Vereinten Nationen ist er zurückgetreten, da er die Ungerechtigkeit nicht mehr vertreten konnte, wie er sagt. Kein ehrenvoller Abschied, keine Verleihung von Orden. Nach dem Vortrag gehen viele hin und bedanken sich persönlich bei ihm.
„Ich kann nicht ungesehen machen, was ich gesehen habe“, sagt er und der ohrenbetäubende Applaus dankt es ihm.

Von Rut Kittel, Tübingen den 14.12.02.

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