Wissen ist Macht

Obwohl ich darauf verzichten kann, spüre ich erst hier in Mosambik richtig, was das Sprichwort „Wissen ist Macht“ bedeutet. Meine Kenntnisse, welche ich mir in meinen bisherigen Leben aneignen konnte, sind hier viel mehr wert als in Deutschland. Schon alleine bei einem Volleyballspiel merke ich es. Die Mosambikaner kennen die Regeln nicht, ich schon. Sofort kann man problemlos als Schiedsrichter auftreten und sagen was richtig und falsch ist. Wenn ich nur daran denke, was ich alles gelernt habe in meiner langen, langen Schulzeit, fühle ich mich wie Mister Allwissend. Das ist gar nicht gut, denn das letzte was ich will, ist hier größenwahnsinnig zu werden. Man muss also sehr aufpassen, sonst verfällt man ohne es zu merken, in die Ich-bin-etwas-Besseres-Ansicht. Auch die Menschen hier stellen bestimmte Erwartungen von einem Muzungu (weißer Mann), haben Vorurteile. Ein gutes Monatgehalt hier liegt nur bei €40. Ich verdiene €100 pro Monat, so viel, oder? Ich laufe mit Schuhen durch die Gegend, mache Fotos und bin mir sicher meine ganze Ausstrahlung bedeutet „reich, reich, reich“. Es ist ein völlig unangenehmes Gefühl. Ich ertappe mich manchmal bei Dingen, welche ich selbst wahrscheinlich als eingebildet auswerten würde, würde ich sie von anderen sehen. Wie kann ich „nein“ zu dem Jungen vom Gärtner sagen, wenn er nach einer Banane fragt? Verdammt eine Banane kostet hier gerade mal 1,5 Eurocent. Aber ich hab’s gemacht und mich danach schlecht gefühlt. Was würde passieren wenn ich ihm eine Banane geben würde. Ich weiß es nicht, vielleicht sollte ich es einfach einmal ausprobieren. Ich hörte es nur von anderen, welche es schon „ergründeten“. Ein „normaler“ Mosambikaner würde sich wohl unheimlich freuen und jeden Tag wieder kommen und nach mehr und mehr fragen ... oder?

Das ist nur ein sehr kleiner Teil der Dinge, mit welchen ich täglich konfrontiert werde, über welche ich mir hier Gedanken mache. Die Komplexität des ganzen wächst mir zuweilen über den Kopf und ich habe so viel zu tun und zu lernen, dass ich denke, ich schaffe es niemals, obwohl ich will.

Alles hier regt mich zum denken an und ich finde es gut auf andere Gedanken gebracht zu werden, die Welt einmal von einer anderen Sichtweise zu betrachten. Das ist Mosambik.

Nun bin ich mittlerweile schon über einen Monat hier. Oft fühle ich mich so, als ob ich gerade erst angekommen wäre, aber nicht immer und das freut mich und zeigt, dass ich mich langsam einlebe. Gestern habe ich zum Beispiel das erste Mal einen Witz gemacht, über welchen die Mosambikaner wirklich gelacht haben, sonst schauen sie einen eher verständnislos an, genauso wie ich sie bei ihren Scherzen.

Meine Arbeit in der Kinderhilfe kommt mehr und mehr in die richtigen Bahnen. Ich lerne meine Kollegen besser kennen, verstehe manchmal sogar den Gesprächsstoff und kann mir eine Vorstellung davon machen, was ich anpacken sollte.

Zusammen mit Tomoko, einer Entwicklungshelferin aus Japan, betreue ich den Bau und die Planung eines Spielplatzes neben unserem Kinderhilfe Gemeinde Center. Mich begeisterte die Idee, denn ich hielt mich schon immer gerne auf unserem Cursdorfer Spielplatz auf. Emilio, der hiesige Projektleiter, ist auch sehr angetan und möchte das Vorhaben unbedingt realisieren. Wir erhoffen uns davon, dass mehr Kinder unser Center besuchen und Mütter mit ihren Sprösslingen vorbei kommen. So soll alles etwas offener für die Gemeinde werden. Unser Ziel ist es, dass Center zur Informationsquelle zu machen, mit Bibliothek, Fernseher usw. Leider weiß niemand hier, was ein Spielplatz eigentlich ist. Als Kinder, mussten die meisten Menschen Mosambiks in Kriegsnotstand leben, da war für Spielplätze kein Platz. Auch Moises, der Leiter der Kinderhilfe ist nicht so angetan, aber er gibt den ganzen eine Chance. Ich mache mir ein bisschen Sorgen, da wir nicht wissen wie ein Spielplatz hier ankommt. Aber probieren geht über studieren. Der Plan ist, alles mit lokalen Materialien zu bauen. Das wird nicht einfach werden, aber wir wollen auch nicht unnötig Geld ausgeben, dieses können wir nämlich besser verwenden. Zusammen mit Tomoko versuche ich also Mittel und Wege zu finden und das Ganze voran zu treiben. Letzte Woche markierten wir das Gebiet und die Stellplätze für die Spielgeräte. Außerdem fällten wir drei Eukalyptusbäume, welche gut als Balken geeignet sind, da sie sehr gerade wachsen. Das Schleppen dieser zum Spielplatzgelände erwies sich als Mordsarbeit. Jetzt müssen die Stämme nur noch mit Teer gestrichen werden, damit sie nicht von Termiten gefressen werden. Ziemlich überrascht war ich, als nach dem Rasenmähen (Rasen von einem Meter Höhe) auf dem Spielplatzgelände ein alter Schützengraben vom Bürgerkrieg zum Vorschein kam. Von Emilio erfuhr ich schon früher, dass dieses Gebiet die Front zwischen Renamo und Frelimo, den beiden kämpfenden Partein darstellte. Nach Absprache mit Emilio entschieden wir uns, den Graben bestehen zu lassen und statt dessen einen Baumstamm als Brücke darüber zu legen. So wird dieser einst schreckliche Platz jetzt friedlich genutzt.

Des Weitern helfe ich in unserer Hühnerzucht mit. Wir kaufen alle 15 Tage 500 Küken ein, ziehen sie groß und verkaufen sie wieder. Mit dem Erlös werden Kleidung, Medizin und Schulaufenthalt für die 200 Weisenkinder bezahlt, welche wir zur Zeit betreuen. Hoffentlich können wir in naher Zukunft die Hühnerproduktion noch erweitern. Ab nächster Woche werden die Leckerbissen (hehe) verkauft und wie ich hörte werden sich die Leute regelrecht darum reisen. Da bin ich mal gespannt.

Auch sonst, versuche ich mich so gut wie möglich bei verschiedensten Dingen einzubringen und da zu helfen wo Hilfe notwendig ist. Neues wird gelernt, indem man Dinge tut, welche man vorher noch nicht machte. Ich versuche mich daran zu halten. Aber das ist natürlich einfacher gesagt als getan. Oftmals ist es schwer die Überwindung zu finden. Und auf der anderen Seite ist es langweilig, Dinge die ganze Zeit zu tun, was man eh schon kann. So bin ich noch nicht einmal dazu gekommen hier nach der Computer-Situation zu schauen, da ich einfach viel interessantere Dinge den ganzen Tag tun kann. Natürlich möchte ich das auch nachholen, aber alles zu seiner Zeit. Es gibt eine Menge zu tun und wie gesagt, ich verliere manchmal wirklich den Überblick.

Auf morgen möchte ich noch einen Computerkurs vorbereiten für Moises und Ana Paula. Diesen gebe ich jetzt zweimal in der Woche und habe noch eine ganze Menge dazu zu lernen um es wirklich interessant zu gestallten. Bis jetzt hatte ich leider noch keine Zeit dazu, da wir heute einen großen Hausputz durchführten. Die Eltern eines weitern Entwicklungshelfers sind nämlich auf Besuch. Das bedeutet natürlich nicht, dass wir nur dann aufräumen. In Wirklichkeit müssen wir alles sehr sauber halten. Unser Wasser zum Kochen kommt aus dem Brunnen, es wird aber vorher noch abgekocht. Das Wasser zum trinken filtern wir zusätzlich. Es funktioniert ganz gut, denn ich hatte bis jetzt nur einmal Durchfall J Zum duschen benutzen wir auch Brunnenwasser. Ich schütte dieses dann einfach mit einen Eimer über mich. Zur Zeit ist das aber eine Zitterprozedur, da wir einen Kälteperiode erleben. Es ist jeden Tag nur um die 20 Grad. Wasser aus der Leitung haben wir meistens nur eine Stunde am Morgen. Damit füllen wir die Eimer für die Toilettenspülung und zum Händewaschen auf. Meisten ist dieses Wasser in Ordnung, nur manchmal wirklich sehr dreckig. Ich werde zu diesen Thema demnächst ein Bild auf meine Webseite laden.

Leider bleibt der Strom in letzter Zeit sehr häufig weg und durch zu starke Stromstöße gehen ständig alle möglichen elektrischen Geräte kaputt. Das ist relativ frustrierend. Aus irgendeinen Grund funktioniert unser Herd in der Küche nur noch auf Sparflamme und wir müssen mit Kerzen den Raum erleuchten, selbst wenn Strom vorhanden ist.

Aber das ist Afrika und eigentlich leuchten meine Augen, wenn ich diese Zeilen hier schreibe. Und wenn ich Abends mit den Studenten zusammen zu afrikanischer Musik tanze und einen blinden Schüler helfe sich auch auf die Tanzfläche zu trauen, bin ich einfach nur glücklich. Es gefällt mir unheimlich gut und ich bin froh diesen Schritt gegangen zu sein. Hier in Afrika ist die Welt einfach anders, wenn man seine Augen dazu öffnet und öffnen kann.

Jörg